Basel und Hamburg: Inklusive Klimacamps sind möglich!

Aus GWR 473 Schwerpunkt Ableismus und Barrieren (brechen)

Barrierearme Aktionskonzepte und Zugänglichkeit auf dem Campgelände

Nachdem Barrierefreiheit und Inklusion lange Zeit kaum Thema in der Klimabewegung waren, hat in den letzten Jahren ein Umdenken eingesetzt. Die Klimacamps 2022 in Basel und Hamburg zeigen, wie die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden können – und was noch ausbaufähig ist. Eichhörnchen schildert ihre Erfahrungen bei den diesjährigen Camps und gibt Einblicke in die Abgründe ableistischer Polizeigewalt gegen Klimaaktivist*innen. (GWR-Red.)

Als ich die Einladung für einen Vortrag über Aktivismus und Inklusion auf dem Klimacamp in Basel im Juli 2022 erhielt, war ich zwiegespalten. Ich mache den Vortrag gern, und es ist mir ein Anliegen, dass die Klimabewegung für Menschen mit Behinderung zugänglicher wird. Aber „schaffe ich es überhaupt bis nach Basel?“, fragte ich mich, eine lange Reise mit der Barriere-Bahn fürchtend. Ich erwog ernsthaft abzusagen: Weil ich keine Assistenz für die Reise fand, weil ich Angst hatte, der Camp-Orga „zur Last“ zu fallen.
Ich habe schließlich meinen eigenen internalisierten Ableismus überwunden und die Anfrage beantwortet: Ich freue mich über die Einladung und komme gerne, wenn wir es schaffen, das Camp für mich zugänglich zu machen. Ich habe meine Bedürfnisse erläutert. Auch wenn mensch sich dabei unwohl fühlt: Teilhabe müsste überall eine Selbstverständlichkeit sein, und niemand sollte sich für seine*ihre Behinderung und Bedürfnisse, die damit einhergehen, schämen. Das erläutere ich in meinen Vorträgen. Also sollte ich das auch selbstbewusst einfordern.
Die Gesellschaft ist voll von Barrieren. Soziale politische Bewegungen sind auch nicht frei davon. Das ist struktureller Ableismus. Ich erwarte nicht, dass alle Barrieren in der Klimabewegung auf einmal verschwinden. Ich erwarte aber, dass Bereitschaft dazu besteht, diese abzubauen, wenn sie erkannt werden oder darauf hingewiesen wird. Das heißt, die Köpfe zusammenzustecken und nach Lösungen zu suchen.
Das Klimacamp war für mich diesbezüglich ein positives Beispiel. Ich finde es wichtig, über Erfolge zu berichten. Inklusion ist machbar! Es hat natürlich Fehler gegeben, es war nicht alles perfekt. Aber die Bereitschaft war da, dies zu reflektieren, Lösungen zu suchen und umzusetzen.

Klimapolitisches Inklusionsnetzwerk

Ein informelles Inklusionsnetzwerk hat sich in der Schweiz vor ca. einem Jahr in bzw. aus klimapolitischen Zusammenhängen gegründet. Den Menschen dort wurde meine Unterstützungsanfrage für die Reise zum und vom Klimacamp unterbreitet. Ein Mensch hat sich bereiterklärt, mich in Lüneburg abzuholen. Er hat von der Camp-Orga die Fahrkarte aus Zürich nach Lüneburg bezahlt bekommen und ist am Tag darauf als meine Begleitperson nach Basel mitgereist. Ich konnte dadurch entspannt reisen, mich hinlegen (ich hatte einen ICE 4 mit ausreichend Platz im Rollstuhlbereich erwischt) und mein Ziel erreichen, ohne von den Schmerzen allzu erschöpft zu sein. Leider gibt es auf der Nachtzug-Verbindung nach Basel, die ich gerne genommen hätte, aktuell keinen Liegewagen für Rollstuhlnutzende: Der Wagen „fehlt“, wie die ÖBB mir mitteilte.
Bei der Rückfahrt erhielt ich auch Unterstützung, als mein Zug in letzter Minute ausfiel und mensch sich mit dem Mobilitätsservice der Deutschen und der Schweizer Bahn herumärgern musste, weil diese nicht so wirklich miteinander kommunizieren.

Barrierearme Infrastruktur

Es wurde bei der Campgestaltung auf Barrierearmut geachtet. Auf der Camp-Homepage gab es Informationen zu Inklusion und Awareness.
Der Begriff Ableismus wurde täglich in Plena kurz erläutert und war fester Tagesordnungspunkt. Es konnten Probleme gemeldet und Vorschläge zur Verbesserung der Zugänglichkeit gemacht werden. Es ging beispielsweise um kontraststarke Schrift auf Schildern, Kennzeichnung von Zeltleinen, damit sehbeeinträchtigte Menschen sich zurechtfinden können, um Wegemarkierungen, damit mensch mit dem Rollstuhl zwischen den Zelten durchkommt etc.
Ich habe ein großes Zelt mit einem Bett darin zur Verfügung gestellt bekommen. Darin war für meinen Rollstuhl ausreichend Platz vorhanden. Menschen haben mir bei Bedarf geholfen, ich hatte direkte Ansprechpartner*innen, die ich unkompliziert – auch bei Schmerzen mitten in der Nacht – um Unterstützung bitten konnte. Die Campküche hat auch meine Diät berücksichtigt, was äußerst selten klappt auf Camps.
Ein Fehler war es, sich für die Sanitäranlage auf die öffentliche Infrastruktur des Parks zu verlassen. Die Toilette, die als baulich barrierefrei angegeben war, war es in Wirklichkeit nicht und für mich nicht alleine nutzbar. Hinzu kommt, dass die Anlage andauernd verstopft war. Nächstes Mal wird eine barrierefreie Kompost-Toilette neben den anderen Toiletten gebaut!

Workshops mit Blick auf verschiedene Bedürfnisse

Es gab interessante Workshops zu vielen Themen im Sinne von Intersektionalität, also der Zusammenführung verschiedener politischer Kämpfe: Zapatistas, Alarmphone und Kämpfe von Geflüchteten, Klimaproteste in Österreich etc. Es wurde bei Bedarf in mehrere Sprachen gedolmetscht, entweder durch Flüsterübersetzung oder mit einem Kopfhörersystem. Gedolmetscht haben Camp-Teilnehmer*innen für andere Teilnehmer*innen.
Es wurde auch mit einer Spracherkennungssoftware experimentiert und damit Untertitel bei einigen Vorträgen live erzeugt. Zum Beispiel bei meinem gut besuchten Vortrag zu Aktivismus und Inklusion. Aber die Software versteht mein Deutsch mit französischem Akzent nicht immer gut … „Barrierefreiheit“ will sie partout nicht verstehen! Ableistische Software!
Neben den Vorträgen und Diskussionen gab es auch diverse Skillshare-Workshops (z. B. Basteln, Aktionsklettern und Bea-con, eine Kletterstruktur aus
Holz, aufstellen).

Erfolgreiche Banner-Aktionen

Zusätzlich zum Programm auf dem Camp fanden kleinere Aktionen unter der Woche und zwei Aktionstage statt: Wasserdemos, Bannerdrops zu verschiedenen Themen, Straßentheater, Urban Gardening, Demos. Basel eignet sich gut für Kommunikationsguerilla und für Transparente zwischen Bäumen und Masten. Die Banner, die etwas höher aufgehängt wurden, wurden nicht entfernt und waren einige Tage später in der Stadt immer noch zu sehen.
Am zweiten Aktionstag gab es eine große Banner-Kletteraktion an einer Rheinbrücke: „Sauberes Gas? Eine dreckige Lüge! Gegen das Greenwashing des EU-Parlaments. Für eine Soziale Ökologie. NotMyTaxonomy“ stand auf dem Transparent. Es gab viel Zustimmung seitens der Menschen am Ufer für die Aktion. Wenige Tage zuvor hatte das EU-Parlament Atomkraft und Gas in die EU-Taxonomie aufgenommen. Die kletternden Menschen wurden am Ende des Bannerdrops zu schwimmenden Menschen und seilten sich in den Rhein ab, mischten sich unter andere Badende und schwammen der Polizei davon.
Eine Demo für Klimagerechtigkeit fand zeitgleich am Rhein entlang statt. Das war die bunte Abschlussdemonstration des Camps. Selbstbestimmt, unangemeldet – wie auch schon das Camp selbst. Die Behörden scheinen sich mit einer Woche Camp jedes Jahr in einem Park arrangiert zu haben, was für alle Beteiligten das Sinnvollste ist. Das Camp kann stressfrei stattfinden, der soziale Frieden (aus Sicht der Behörden) wird nicht durch eine Räumung gefährdet.
Für die Menschen aus Deutschland ein etwas ungewöhnlicher behördlicher Umgang: Die Hamburger Versammlungsbehörde zum Beispiel versucht selbst angemeldete Camps zu verhindern, wie das System Change Camp in diesem Jahr.

Erste Schritte beim System Change Camp

Ortswechsel: Hamburg. Beim System Change Camp, das vor Gericht durchgesetzt werden musste, war ich auch. Das war für mich nicht weit von zu Hause, und sowohl seitens der Camp-Organisation als auch von Ende Gelände für die Aktionstage gegen fossile Infrastruktur im Hafen gab es Informationen zu Barrierefreiheit. Dies ist keine Selbstverständlichkeit und Ergebnis einer längeren Entwicklung. Es gab lange keine Informationen und keine Konzepte zu Barrierefreiheit und Inklusion auf den Camps und Aktionen von Ende Gelände. Menschen mit Behinderung wurden lange nicht mitgedacht. Betroffene haben die Aktiven von Ende Gelände mit dem Problem konfrontiert, erklärt, mitmachen zu wollen, auch bei Aktionen dabei sein zu wollen.
Daraus entstand zunächst das Konzept des bunten Fingers (1), worüber die GWR in der Vergangenheit bereits berichtete (2). Auf dem Camp wurde zunehmend auf Barrierearmut geachtet. Das Aktionskonzept mit dem bunten Finger war, wie sich herausstellte, nicht immer effektiv. Denn: Es wurde von vielen als Gruppe für Menschen, die nicht so weit in die Aktion gehen wollen, verstanden, als Gruppe für unerfahrene Menschen. Dabei brauchen Menschen mit Behinderung erst recht die Unterstützung von erfahrenen Menschen, um gemeinsam Barrieren zu überwinden. Denn die Polizei ist nicht barrierefrei! Und wie weit ein Mensch in die Aktion gehen will, ist nicht zwangsläufig von seiner Behinderung abhängig. Zivilen Ungehorsam und direkte Aktion können und wollen Menschen mit Behinderung auch mitgestalten. Sie sind allerdings bei Polizeieinsätzen gefährdeter als andere, wie es sich bei Ende Gelände 2022 zeigte, als die Polizei Hunde, zum Teil ohne Maulkorb, gegen die Gruppe einsetzte. Meine Klage gegen diesen Polizeieinsatz wird am 19. Dezember 2022 vor dem Amtsgericht Aachen verhandelt.

Ableistische Polizeigewalt bei Klimakämpfen

In den letzten Jahren gab es keinen bunten Finger mehr. Es ist Aufgabe von allen Fingern, offen für alle zu sein, auch für Menschen mit Behinderung, für Anfänger*innen etc. In der Regel wird bei der Aktionsplanung darauf geachtet, dass mindestens ein Finger barrierearme Wege wählt, damit Rollstuhlnutzende mitfahren können.
In diesem Jahr war es der rote Finger. Dieser lief zur Kattwykbrücke. Diese Hubbrücke wird hochgefahren, um Schiffe auf der Elbe durchzulassen. Wenn sie besetzt wird, kann sie nicht hochgefahren werden.
Die Polizei hat die Demonstration mehrere Stunden von der S-Bahn bis in den Hafen begleitet – das war faktisch nicht barrierearm, weil zu lang. Die Polizei wusste, dass mehrere Rollstuhlnutzende dabei sind. Das hinderte sie nicht daran, die Straße am Eingang der Brücke zuzumachen und den Demonstrationszug ohne Vorwarnung mit Pfefferspray und Knüppeleinsatz zu stoppen. Eine bedrohliche Situation für Menschen mit Rollstuhl: Sie können in der Menge nicht schnell umdrehen und wegfahren, sehen nicht, was auf sie zukommt, weil sie tiefer sind, wenn die Menschen um sie herum stehen. Eine Person, die auf externe Beatmung angewiesen ist, hat Pfefferspray abbekommen. Die Polizei nahm die Gefährdung von Menschenleben bewusst in Kauf, und es war kein Einzellfall.
Meine jüngste derartige Erfahrung war erst wenige Monate alt. Im Mai 2022 wurde ich auf einer Polizeiwache nach einer Anti-Atom-Protestaktion gegen die Urananreicherungsanlage in Gronau misshandelt. Die Polizei hatte meinen Schwerbehindertenausweis in der Hand. Es wurde trotzdem ohne jegliche Vorsicht „Zwang“ in einer für mich lebensgefährlichen Art und Weise angewendet – zur angeblichen Personalienfeststellung einer amtlich bekannten Person.
Im Hamburger Hafen hat die Polizei Pfefferspray eingesetzt – und die Falschmeldung verbreitet, die Demonstrant*innen hätten die Polizei mit Pfeffer angegriffen, Beamt*innen seien verletzt worden. Viele Medien übernahmen die Fake News der Polizei unkritisch. Das Videomaterial zeigt aber eines: Die Polizei hat gepfeffert und sich zum Teil gegenseitig getroffen, denn, oh Überraschung, es ist windig im Hamburger Hafen.
Die Falschmeldung war dann die Rechtfertigung für die Auflösung der Demonstration, die die Polizei anschließend mit Wasserwerfern zu räumen versuchte. Für die Rollstuhlfahrer*innen in der Menge war es gefährlich, weil sie der höchste Punkt sind, wenn alle sitzen. Sie haben sich etwas weiter weg und auf der Seite positioniert. Sie wurden so durch den Wasserwerfer zwar getroffen, aber immerhin nicht verletzt. Und die Polizei bekam die Straße nicht geräumt. Vor allem weil sie sich, als die Wasserwerfer einmal leer waren, nicht zu helfen wusste: Sie fand nicht heraus, wie der über 200 kg schwere E-Rollstuhl eines Demonstranten wegbewegt werden kann … Eine andere Rollstuhlfahrerin, die geräumt worden war, beschäftigte Polizeikräfte mit Rollstuhltänzchen vor Polizeiautos. Die Aktivist*innen, die nicht geräumt wurden, beendeten schließlich ihre Aktion am frühen Abend selbstbestimmt.
Diese Erfahrung sagt mir: Eine Blockade mit vielen Rollstuhlfahrer*innen hätte was!

Noch Luft nach oben, aber auf dem richtigen Weg

Bei der Camp-Infrastruktur hat es über die Jahre auch positive Entwicklungen gegeben. Es gibt aber noch Luft nach oben, und die Betroffenen hoffen, dass ihre Kritik für die nächsten Camps berücksichtigt wird. Das große barrierefreie Zelt befand sich in der Nähe der Musik, die bis 4 Uhr morgens lief, die Behinderten-Komposttoilette war zu klein und aufgrund eines sandigen Weges nicht für alle Rollstuhlnutzenden erreichbar. Die Aktionsrollstühle waren nicht wirklich brauchbar, sie waren sperrig, hatten Platten. Aktionsrollstühle sind an sich eine gute Idee. Menschen, die schlecht zu Fuß sind, können so mitmachen, bei Aktionen will mensch nicht immer den eigenen Rollstuhl dabei haben, denn Pfefferspray lässt sich schwer aus der Polsterung auswaschen. Nur müssen die Rollstühle funktionstüchtig sein!
Solche Fehler gibt es, weil zu oft ohne die Betroffenen geplant wird. Wie immer heißt es: Nichts über uns ohne uns entscheiden!
Lasst uns Ableismus bekämpfen und die Barrieren in politischen Bewegungen abbauen! Inklusive selbstorganisierte Camps sind möglich!

Eichhörnchen

Anmerkungen:
(1) Die Finger sind (oft nach Farben benannte) Demonstrationszüge, die sich – teils mit unterschiedlichen Themen- oder Aktionsschwerpunkten – auf verschiedenen Wegen zu den Blockadepunkten bewegen.
(2) vgl. Eichhörnchen, „Block´n´Roll for Climate Justice“, GWR 453, November 2020

Nichts über uns ohne uns!Referent*innen zu Ableismus, Behinderung und Barrierefreiheit

Cécile Lecomte ist im Beirat der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e. V. (ISL e. V.). Als Sprecherin für Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit macht sie Vorträge z. B. zu Inklusion und Aktivismus, nimmt an Vernetzungstreffen der Klimabewegung teil und bringt Perspektiven von Menschen mit Behinderung(en) ein.
In der ISL und in anderen Vereinen von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung gibt es viele engagierte Mitglieder, die bereit sind, Vorträge zu unterschiedlichen Themen und Fragen im Zusammenhang mit Ableismus, Behinderung und Barrierefreiheit zu halten. Das Motto „Nichts über uns ohne uns“ gilt auch für die Auswahl von Referent*innen: Aus emanzipatorischer Perspektive sollte klar sein, dass nicht die „Verwaltervereine“ angefragt werden (die, die Geld mit Behinderung verdienen und Behinderung verwalten, indem sie z. B. Heime betreiben), sondern die von Ableismus Betroffenen selbst.
Kontakte gibt es über ISL (info@isl-ev.de), die Sozialhelden
(https://sozialhelden.de/expertinnen/), Rollfender Widerstand (fight-ableism@riseup.net), Rebellion der Ballastexistenzen (rebellion_
der_ballastexistenzen@riseup.net) u. a.