Über Räumungen und Barrieren

Aus GWR 473 Schwerpunkt Ableismus und Barrieren (brechen)

Ableistische Polizeigewalt bei der Blockade des Kohlekraftwerkes Jänschwalde

Der Ableismus der Polizei kann erschreckende Ausmaße annehmen und reicht von stumpfer Ignoranz über offene Diskriminierung bis hin zu brutaler Gewaltanwendung und mutwilliger Gefährdung von Menschenleben. Das musste der Klimaaktivist Corax erleben, der am 19. September 2022 an der Blockade des brandenburgischen Braunkohlekraftwerks Jänschwalde beteiligt war. Um seine Erfahrungen bei der Räumung geht es im Artikel der Aktionsgruppe „Unfreiwillige Feuerwehr“. (GWR-Red.)

Mitte September haben ca. 40 Klimaaktivist*innen der Aktionsgruppe „Unfreiwillige Feuer-
wehr“ das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde bei Cottbus blockiert, um gegen die klimavernichtenden Folgen der Braunkohle-Verstromung zu protestieren. Mittels diverser Ankett-Vorrichtungen an Förderbändern und Gleisverbindungen konnte die Blockade mehrere Stunden aufrechterhalten werden, sodass zwei von vier Kraftwerksblöcken zwischenzeitlich vom Netz genommen werden mussten.


Einer der beteiligten Aktivist-*innen, Corax, ist rund um die Uhr auf einen E-Rollstuhl, ein Beatmungsgerät und eine geschulte Assistenzkraft angewiesen. Auf seinen Wunsch hin wurde sein Rollstuhl bei der Aktion mit einem Fahrradschloss am Zuggleis befestigt. Das sollte die Blockade verstärken, aber auch verhindern, dass potenziell unbedarfte Polizist*innen auf die Idee kämen, statt auf die Räumprofis der Polizei – die Technische Einheit – zu warten, sich selbst am Räumen ausprobieren und durch unüberlegte Hauruck-Aktionen Coraxʼ Gesundheit gefährden.
Auf der Nebenstrecke ketteten sich Aktivist*innen in einem Betonfass fest. Alle Aktivist*innen auf den beiden Zugschienen verweigerten ihre Personalien gegenüber der Polizei. Nach einigen Stunden der Blockade trafen schließlich Polizei und Mitarbeiter*innen der LEAG, des Braunkohlekonzerns, am Blockadeort ein.

Durchgerüttelt bei der Räumung

Eine Weile später begann die Räumung, bei der das Schloss an Coraxʼ Rollstuhl relativ schnell aufgebrochen werden konnte. Schwieriger gestaltete sich die Frage, wie er samt dem 200 kg schweren Rollstuhl aus dem Gleisbett entfernt werden sollte. Zuerst versuchten die Polizist*innen, Corax wegzutragen, was ziemlich unkoordiniert und auch gefährlich für Corax ablief. Nachdem die Polizist*innen samt Rollstuhl fast gestürzt waren, beschlossen sie, ihn an seinem Joystick wegzufahren. Da das Gleisbett sehr uneben ist, wurde Corax somit stark durchgeschüttelt. Obwohl er zu erkennen gab, dass dieser Abtransport unangenehm und schmerzhaft war, ließen die Polizist*innen nicht von ihm ab. Immerhin haben sie in diesem Moment noch eingesehen, dass seine zwei Assistenzen bei ihm bleiben müssen.
Nach einigem Hin und Her, einer Durchsuchung, dem obligatorischen Abfotografieren und der Organisation eines rollstuhlgerechten Fahrzeugs von den Johannitern wurde Corax samt Assistenzen zur Polizeistation gebracht. Hier sei noch erwähnt, dass Krankenfahrdienste, Rettungsdienste oder Krankenhäuser gegenüber der Polizei nicht zur Amtshilfe verpflichtet sind, diese jederzeit ablehnen können und in viele Fällen sogar verweigern müssten.

Gefährdung im Gewahrsam

Auf der Polizeistation wurde er nach langem Diskutieren einem Amtsarzt vorgestellt, der beurteilen sollte, ob er überhaupt gewahrsamsfähig ist. Der Amtsarzt sah ein, dass Corax unmöglich in Gewahrsam genommen werden kann, da seine Versorgung dort nicht gewährleistet werden könnte. Dennoch entschieden er und die zuständige Polizistin, dass Corax von seinen Assistenzen getrennt werden könne und in ein Krankenhaus gebracht werden sollte, um dort zu übernachten und die Zeit zur Haftprüfung am Folgetag zu überbrücken. Sie ignorierten den mehrfachen Hinweis, dass sich ausschließlich die Assistenzen mit dem Atemgerät auskennen und er innerhalb weniger Minuten ersticken kann, wenn es Probleme mit dem Gerät gibt (z. B. dass sich ein Schlauch löst oder der Akku zur Neige geht). Die Polizistin rief einen Rettungswagen, und dann wurde Corax tatsächlich von seinen Assistenzen getrennt.

Da die Sanitäter*innen ihn nicht samt Rollstuhl transportieren konnten, musste noch ein rollstuhlgerechtes Taxi organisiert werden. Dort musste Corax dann einsteigen – immerhin in Begleitung einer*s Sanitäter*in, aber ohne eine*n, der*die sich mit seinem Atemgerät auskennt. Im Krankenhaus wurde Corax zwar kurz untersucht, aber wieder weggeschickt, da sie dort keine Kapazitäten haben, um auf Leute „aufzupassen“, bei denen kein Notfall vorliegt, nur weil die Polizei dazu nicht in der Lage ist.
Also wurde Corax ein zweites Mal – jetzt sogar auch ohne Sanitäter*in – zur Polizeistation gefahren. Dort musste er noch mehrere Stunden ausharren, während gleichzeitig der Akkustand des Beatmungsgerätes und des Rollstuhles immer kritischer wurde. Irgendwann am späten Abend wurde Corax schließlich ohne Personalienfeststellung freigelassen und von solidarischen Menschen empfangen. Vermutlich bekamen die anwesenden Wärter*innen irgendwann genügend Angst um das Leben ihres Gefangenen, das sie wegen ihres fahrlässigen Verhaltens wissentlich aufs Spiel setzten – wir wissen es nicht. Seine ursprünglichen Assistenzen mussten die Nacht in Polizeigewahrsam verbringen und wurden am Folgetag der*dem Haftrichter*in vorgeführt.

Zu der ganzen Geschichte gehört noch eine lange Reihe an weiterem ableistischem Verhalten der Polizei, wie zum Beispiel die Androhung, nicht richtig gesichert im Polizeitransporter mitfahren zu müssen, das neugierige Ausquetschen darüber, wie Corax auf Toilette gehen kann, und das Infragestellen, warum er dafür Assistenz braucht und nicht vor fünf Polizist*innen im Verhörzimmer pinkeln möchte.

Wir brauchen Strategien gegen ableistische Cops!

Die Geschichte von Corax ist leider kein Einzelfall. Aktivist*innen mit Behinderung berichten nach Aktionen häufig von ableistischen Erfahrungen wie beispielsweise von schmerzhaften Räumungen oder dass häufiger mit Begleitpersonen gesprochen wird als mit ihnen selbst. Nicht nur im Fall von Corax verurteilen wir das leichtsinnige und gefährliche Verhalten der Polizei aufs Schärfste!
Wir als Klimagerechtigkeitsbewegung haben noch vieles in Bezug auf Barrieren und deren Vermeidung zu lernen. Sei es bei der Auswahl von barrierearmen Treffpunkten und Aktionsorten, sei es bei Kommunikationswegen und Sprache, der Gestaltung barrierearmer Klimacamps oder beim eigenen Verhalten behinderten Menschen gegenüber. Dies sind alles Punkte, an denen wir an uns arbeiten können und müssen!

Was wir aber nicht verhindern können, ist, dass sich die Polizei ableistisch verhält. Nicht nur in diesem Fall wurden Verletzungen, Schmerzen oder Lebensgefahr für behinderte Menschen wissentlich in Kauf genommen. Wir als Bewegung müssen uns mit dem ableistischen Verhalten der Polizei auseinandersetzen und uns Strategien überlegen, wie wir Menschen schützen und solidarisch handeln können. Dabei ist es wie so oft vor allem wichtig, mit den betroffenen Menschen selbst zu sprechen, nicht bevormundend zu werden und Gesprächsgrenzen zu respektieren.

Weitere Informationen zur Aktion in Jänschwalde und die Adressen der drei noch immer gefangenen Blockierer*innen findet ihr auf der Homepage
https://unfreiwilligefeuerwehr.blackblogs.org.

Unfreiwillige Feuerwehr